![]() Intensive Kurz-Literatur:»Was thätest Du, Marie, wenn ich Dich stehen liesse?!?« »Ich?!? Ich würde weinen – – -–.« »Weinen, Marie?!? Ich dachte, Du würdest sterben!?!« »Weinen ist mehr als Sterben – – –.« [aus: Peter Altenberg, Was der Tag mir zuträgt] christian-von-kamp.de Obsthändler: »Wir haben aber auch Obst für die ganz feinen Leute!« »Was sind denn das, die ganz feinen Leute?!?« »Die ganz feinen Leute, das sind die, die das ganz feine Obst kaufen!« [aus: Peter Altenberg, Was der Tag mir zuträgt] christian-von-kamp.de Der Dichter Wer mich versteht, versteht sich selbst! Denn siehe, ich bin nur Euer tönend gewordenes stummes Herz selber! [aus: Peter Altenberg, Was der Tag mir zuträgt] christian-von-kamp.de Spätsommer Es riecht bereits nach welken Blättern – – – aber sie sind noch gar nicht da! [aus: Peter Altenberg, Was der Tag mir zuträgt] christian-von-kamp.de Die Welt der »Fertigen« ist nützlich!! Die Welt der Unfertigen jedoch ist schön!! [aus: Peter Altenberg, Was der Tag mir zuträgt] christian-von-kamp.de Einen Menschen erziehen, heisst, ihm zu sich selbst verhelfen! Wozu verhilft der gute Gärtner der Rose?!? Zum Rose-Werden! [aus: Peter Altenberg, Was der Tag mir zuträgt] christian-von-kamp.de Oben Auf Gipfeln sollst Du wandern! An Abgründen! Bereit, zu zerschellen, bereit! Aber in den Thälern liegt der träge Dunst und die armselige Sicherheit! [aus: Peter Altenberg, Was der Tag mir zuträgt] christian-von-kamp.de Dorfstrasse Abends ging das junge Mädchen stundenlang die friedevolle einsame Dorfstrasse auf und nieder, auf und nieder. Nichts regte sich. Da sagte der Dichter zu dem Mädchen: »Woran denkst Du, Mädchen?!?« »An nichts,« erwiderte das Mädchen. »Aus diesem Nichts machen wir unsere tiefsten Lieder,« sagte der Dichter. [aus: Peter Altenberg, Was der Tag mir zuträgt] christian-von-kamp.de Philosophie Den Dingen »auf den Grund kommen wollen«?!? Armselige Kanalräumer-Thätigkeit! Den Dingen nicht »auf den Grund kommen wollen«, sondern sie »in ihren eigenen Höhen« aufsuchen können, ist Alles! [aus: Peter Altenberg, Was der Tag mir zuträgt] christian-von-kamp.de Frau Hermine Sie war eine wunderbar schöne, vollkommen glückliche junge Frau. Nur, wenn in der Stadt ein Todesurteil gefällt wurde, ging sie von dem Augenblicke der Bestätigung an, in ihrer Zelle, nein, in ihrem Zimmer, rastlos, schlaflos, auf und ab – –. Und erst als sie vernahm, es sei Alles vorüber, fiel sie erschöpft in die Kissen und schlief, schlief den tiefen Schlaf von Rekonvaleszenten. Dann war sie wieder ruhig und friedevoll –. [aus: Peter Altenberg, Was der Tag mir zuträgt] christian-von-kamp.de Park im Winter Winterlicher Park, wie schön, wie rührend bist Du, der Du »gewesene Schönheit« in Dir birgst! Gleich dem Blicke einer alten Dame, zu der man einst gesprochen hat: »Ohne Dich müsste man sterben!« [aus: Peter Altenberg, Was der Tag mir zuträgt] christian-von-kamp.de Die Natur ist der Embryo des Geistes. Der Geist ist die endentwickelte Natur. Der Geist muss die Natur in sich besiegen, wie der reife Mensch seine unsinnigen Kindlichkeiten! [aus: Peter Altenberg, Pròdromos] christian-von-kamp.de Viele Dinge in diesem Büchlein haben den Charakter von flüchtigem Dilettantismus. Immerhin besser als schwerfälliger Bücherwurmismus! [aus: Peter Altenberg, Pròdromos] christian-von-kamp.de Die Berührung einer geliebten Hand gibt Götterkräfte. Die Berührung einer ungeliebten Hand macht grämlich! [aus: Peter Altenberg, Pròdromos] christian-von-kamp.de Wenn ein jeder wüsste, was er zu wissen hätte, wäre die Welt erlöst! [aus: Peter Altenberg, Pròdromos] christian-von-kamp.de Ein wirklich glücklicher Augenblick im Leben: Wenn der Zahnarzt sagt: »So, heute sind wir fertig geworden. Sie brauchen vor einem halben Jahre nicht wiederzukommen – – –.'' [aus: Peter Altenberg, Pròdromos] christian-von-kamp.de Ablenkung vom eigenen Ich – – – ein Tonikum erster Ordnung. Konzentration auf das eigene Ich – – – Verlangsamung des Stoff-Wechsels! [aus: Peter Altenberg, Pròdromos] christian-von-kamp.de Ein Dichter ist ein Mensch, der in der Selbst-Hypnose seiner Seele dahinlebt. Falls man ihn rüttelt, auferweckt, sieht er die Dinge wie die anderen, die Vorgänge des Tages und der Stunde. Aber lasst ihn! Dass er im lichten Traume verkünde, was da kommen wird! [aus: Peter Altenberg, Pròdromos] christian-von-kamp.de Reichtum macht das Herz schneller hart als kochendes Wasser ein Ei. [aus: Ludwig Börne, Aphorismen und Miszellen] christian-von-kamp.de Sie Rose, Rose, Knospe gestern Schliefst du noch in moos'ger Hülle, Heute prangst in Schönheitsfülle Du vor allen deinen Schwestern. Träumtest du wohl über Nacht Von den Wundern, die geschahen, Von des holden Frühlings Nahen Und des jungen Tages Pracht? [aus: Adelbert von Chamisso, Gedichte] christian-von-kamp.de Im Herbst Niedrig schleicht blaß hin die entnervte Sonne, Herbstlich goldgelb färbt sich das Laub, es trauert Rings das Feld schon nackt und die Nebel ziehen Über die Stoppeln. Sieh, der Herbst schleicht her und der arge Winter Schleicht dem Herbst bald nach, es erstarrt das Leben; Ja, das Jahr wird alt, wie ich alt mich fühle Selber geworden! [aus: Adelbert von Chamisso, Gedichte] christian-von-kamp.de Charlotte und Mutter M.: Charlotte, sag ich, bleibe da, Sonst werd ich strafen müssen. C.: Wieso? Fritz tut mir nichts, Mama. Er will mich nur küssen. M.: Das soll er nicht, Närrin, bleibe da. C.: Warum nicht, Mama? [aus: Matthias Claudius, Asmus omnia sua secum portans] christian-von-kamp.de Hinz und Kunz (Dem Gerichtshalter in – – gewidmet) K.: Hinz, wäre Recht wohl in der Welt? H.: Recht nun wohl eben nicht, Kunz, aber Geld. K.: Sind doch so viele die des Rechtes pflegen! H.: Eben deswegen. [aus: Matthias Claudius, Asmus omnia sua secum portans] christian-von-kamp.de Soeben hat die Schloßglocke halb zehn geschlagen – es ist eigentlich noch gar nicht Nacht – ein schmaler Lichtstreifen steht im Westen, und zuweilen fährt noch ein Vogel im Gebüsche drüben aus seinem Halbschlafe auf und träumt halbe Kadenzen seines Gesanges nach – dennoch ist's hier fast schon Nacht – soeben hat man mir eine schöne neue Talgkerze gebracht – Holz ans Kamin gelegt, um einen Ochsen zu braten, und nun soll ich ohne Gnade in die Daunen. – [aus: Annette von Droste-Hülshoff, Bei uns zulande auf dem Lande] christian-von-kamp.de Ein großer, aus dem Flusse ragender Stein sprühte bunte Tropfen um sich, und die Wellchen strömten und brachen sich so zierlich, daß das Wasser hier wie mit einem Netze überzogen schien und die Blätter der am Ufer neigenden Zweige im Spiegel wie grüne Schmetterlinge davonflatterten. [aus: Annette von Droste-Hülshoff, Ledwina] christian-von-kamp.de Wo ist die Hand so zart, daß ohne Irren Sie sondern mag beschränkten Hirnes Wirren, So fest, daß ohne Zittern sie den Stein Mag schleudern auf ein arm verkümmert Sein? Wer wagt es, eitlen Blutes Drang zu messen, Zu wägen jedes Wort, das unvergessen In junge Brust die zähen Wurzeln trieb, Des Vorurteils geheimen Seelendieb? Du Glücklicher, geboren und gehegt Im lichten Raum, von frommer Hand gepflegt, Leg hin die Waagschal', nimmer dir erlaubt! Laß ruhn den Stein – er trifft dein eignes Haupt! – [aus: Annette von Droste-Hülshoff, Die Judenbuche] christian-von-kamp.de In diesem Schlosse ging es mir wunderlich. Zuerst, wie ich mich in der weiten kühlen Vorhalle umschaue, klopft mir jemand mit dem Stocke auf die Schulter. Ich kehre mich schnell um, da steht ein großer Herr in Staatskleidern, ein breites Bandelier von Gold und Seide bis an die Hüften übergehängt, mit einem oben versilberten Stabe in der Hand, und einer außerordentlich langen gebogenen kurfürstlichen Nase im Gesicht, breit und prächtig wie ein aufgeblasener Puter, der mich fragt, was ich hier will. Ich war ganz verblüfft und konnte vor Schreck und Erstaunen nichts hervorbringen. Darauf kamen mehrere Bedienten die Treppe herauf- und heruntergerannt, die sagten gar nichts, sondern sahen mich nur von oben bis unten an. [aus: Joseph von Eichendorff, Aus dem Leben eines Taugenichts] christian-von-kamp.de Sehr alte Leute wissen sich wohl noch einigermaßen der sogenannten guten alten Zeit zu erinnern. Sie war aber eigentlich weder gut noch alt, sondern nur noch eine Karikatur des alten Guten. Das Schwert war zum Galanteriedegen, der Helm zur Zipfelperücke, aus dem Burgherrn ein pensionierter Husarenoberst geworden, der auf seinem öden Landsitz, von welchem seine Vorfahren einst die vorüberziehenden Kaufleute gebrandschatzt hatten, nun seinerseits von den Industriellen belagert und immer enger eingeschlossen wurde. Es war mit einem Wort die mürb und müde gewordene Ritterzeit, die sich puderte, um den bedeutenden Schimmel der Haare zu verkleiden; einem alten Gecken vergleichbar, der noch immer selbstzufrieden die Schönen umtänzelt, und nicht begreifen kann und höchst empfindlich darüber ist, daß ihn die Welt nicht mehr für jung halten will. [aus: Joseph von Eichendorff, Erlebtes] christian-von-kamp.de Einer der Seen, die diese Seenkette bilden, heißt »der Stechlin«. Zwischen flachen, nur an einer einzigen Stelle steil und quaiartig ansteigenden Ufern liegt er da, rundum von alten Buchen eingefaßt, deren Zweige, von ihrer eignen Schwere nach unten gezogen, den See mit ihrer Spitze berühren. Hie und da wächst ein weniges von Schilf und Binsen auf, aber kein Kahn zieht seine Furchen, kein Vogel singt, und nur selten, daß ein Habicht drüber hinfliegt und seinen Schatten auf die Spiegelfläche wirft. Alles still hier. Und doch, von Zeit zu Zeit wird es an eben dieser Stelle lebendig. Das ist, wenn es weit draußen in der Welt, sei's auf Island, sei's auf Java, zu rollen und zu grollen beginnt oder gar der Aschenregen der hawaiischen Vulkane bis weit auf die Südsee hinausgetrieben wird. Dann regt sich's auch hier, und ein Wasserstrahl springt auf und sinkt wieder in die Tiefe. Das wissen alle, die den Stechlin umwohnen, und wenn sie davon sprechen, so setzen sie wohl auch hinzu: »Das mit dem Wasserstrahl, das ist nur das Kleine, das beinah Alltägliche; wenn's aber draußen was Großes gibt, wie vor hundert Jahren in Lissabon, dann brodelt's hier nicht bloß und sprudelt und strudelt, dann steigt statt des Wasserstrahls ein roter Hahn auf und kräht laut in die Lande hinein.« Das ist der Stechlin, der See Stechlin. [aus: Theodor Fontane, Der Stechlin] christian-von-kamp.de An dem Schnittpunkte von Kurfürstendamm und Kurfürstenstraße, schräg gegenüber dem »Zoologischen«, befand sich in der Mitte der siebziger Jahre noch eine große, feldeinwärts sich erstreckende Gärtnerei, deren kleines, dreifenstriges, in einem Vorgärtchen um etwa hundert Schritte zurück gelegenes Wohnhaus, trotz aller Kleinheit und Zurückgezogenheit, von der vorübergehenden Straße her sehr wohl erkannt werden konnte. Was aber sonst noch zu dem Gesamtgewese der Gärtnerei gehörte, ja die recht eigentliche Hauptsache derselben ausmachte, war durch eben dies kleine Wohnhaus wie durch eine Kulisse versteckt, und nur ein rot und grün gestrichenes Holztürmchen mit einem halb weggebrochenen Zifferblatt unter der Turmspitze (von Uhr selbst keine Rede) ließ vermuten, daß hinter dieser Kulisse noch etwas anderes verborgen sein müsse, welche Vermutung denn auch in einer von Zeit zu Zeit aufsteigenden, das Türmchen umschwärmenden Taubenschar und mehr noch in einem gelegentlichen Hundegeblaff ihre Bestätigung fand. [aus: Theodor Fontane: Irrungen, Wirrungen] christian-von-kamp.de Der Worte sind genug gewechselt, Laßt mich auch endlich Taten sehn! Indes ihr Komplimente drechselt, Kann etwas Nützliches geschehn. Was hilft es viel von Stimmung reden? Dem Zaudernden erscheint sie nie. Gebt ihr euch einmal für Poeten, So kommandiert die Poesie. Euch ist bekannt, was wir bedürfen: Wir wollen stark Getränke schlürfen; Nun braut mir unverzüglich dran! Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan, Und keinen Tag soll man verpassen. Das Mögliche soll der Entschluß Beherzt sogleich beim Schopfe fassen, Er will es dann nicht fahren lassen Und wirket weiter, weil er muß. [aus: Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil] christian-von-kamp.de Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, Und leider auch Theologie Durchaus studiert, mit heißem Bemühn. Da steh' ich nun, ich armer Tor, Und bin so klug als wie zuvor! Heiße Magister, heiße Doktor gar, Und ziehe schon an die zehen Jahr' Herauf, herab und quer und krumm Meine Schüler an der Nase herum – Und sehe, daß wir nichts wissen können! Das will mir schier das Herz verbrennen. [aus: Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil] christian-von-kamp.de Der Philosoph, der tritt herein Und beweist Euch, es müßt' so sein: Das Erst' wär' so, das Zweite so, Und drum das Dritt' und Vierte so, Und wenn das Erst' und Zweit' nicht wär', Das Dritt' und Viert' wär' nimmermehr. Das preisen die Schüler aller Orten, Sind aber keine Weber geworden. Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben, Sucht erst den Geist heraus zu treiben, Dann hat er die Teile in seiner Hand, Fehlt leider! nur das geistige Band. [aus: Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil] christian-von-kamp.de SCHÜLER. Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein. MEPHISTOPHELES. Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen; Denn eben wo Begriffe fehlen, Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein. Mit Worten läßt sich trefflich streiten, Mit Worten ein System bereiten, An Worte läßt sich trefflich glauben, Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben. [aus: Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil] christian-von-kamp.de Mein Vater hieß Schnabelewopski; meine Mutter hieß Schnabelewopska; als beider ehelicher Sohn wurde ich geboren den ersten April 1795 zu Schnabelewops. Meine Großtante, die alte Frau von Pipitzka, pflegte meine erste Kindheit und erzählte mir viele schöne Märchen und sang mich oft in den Schlaf mit einem Liede, dessen Worte und Melodie meinem Gedächtnisse entfallen. Ich vergesse aber nie die geheimnisvolle Art, wie sie mit dem zitternden Kopfe nickte, wenn sie es sang, und wie wehmütig ihr großer einziger Zahn, der Einsiedler ihres Mundes, alsdann zum Vorschein kam. Auch erinnere ich mich noch manchmal des Papagois, über dessen Tod sie so bitterlich weinte. Die alte Großtante ist jetzt ebenfalls tot, und ich bin in der ganzen weiten Welt wohl der einzige Mensch, der an ihren lieben Papagoi noch denkt. Unsere Katze hieß Mimi, und unser Hund hieß Joli. Er hatte viel Menschenkenntnis und ging mir immer aus dem Wege, wenn ich zur Peitsche griff. [aus: Heinrich Heine, Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski] christian-von-kamp.de Wir haben das körperliche Indien gesucht und haben Amerika gefunden; wir suchen jetzt das geistige Indien – was werden wir finden? [aus: Heinrich Heine, Aphorismen und Fragmente] christian-von-kamp.de Gern möchte ich dich, günstiger Leser, unter jene dunkle Platanen führen, wo ich die seltsame Geschichte des Bruders Medardus zum ersten Male las. Du würdest dich mit mir auf dieselbe, in duftige Stauden und bunt glühende Blumen halb versteckte, steinerne Bank setzen; du würdest so wie ich recht sehnsüchtig nach den blauen Bergen schauen, die sich in wunderlichen Gebilden hinter dem sonnichten Tal auftürmen, das am Ende des Laubganges sich vor uns ausbreitet. Aber nun wendest du dich um und erblickest kaum zwanzig Schritte hinter uns ein gotisches Gebäude, dessen Portal reich mit Statüen verziert ist. – Durch die dunklen Zweige der Platanen schauen dich Heiligenbilder recht mit klaren lebendigen Augen an; es sind die frischen Freskogemälde, die auf der breiten Mauer prangen. – Die Sonne steht glutrot auf dem Gebirge, der Abendwind erhebt sich, überall Leben und Bewegung. Flüsternd und rauschend gehen wunderbare Stimmen durch Baum und Gebüsch: als würden sie steigend und steigend zu Gesang und Orgelklang, so tönt es von ferne herüber. [aus: E.T.A. Hoffmann, Die Elixiere des Teufels] christian-von-kamp.de Der Armenadvokat Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel hatte den ganzen Montag im Dachfenster zugebracht und sich nach seiner Braut umgesehen; sie sollte aus Augsburg früh ein wenig vor der Wochenbetstunde ankommen, damit sie etwas Warmes trinken und einmal eintunken könnte, ehe die Betstunde und die Trauung angingen. Der Schulrat des Orts, der gerade von Augsburg zurückfuhr, hatte versprochen, die Verlobte als Rückfracht mitzunehmen und ihren Kammerwagen oder Mahlschatz hinten auf seinen Koffer zu binden. [aus: Jean Paul, Siebenkäs] christian-von-kamp.de Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte. Seine vielen, im Vergleich zu seinem sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine flimmerten ihm hilflos vor den Augen. [aus: Franz Kafka, Die Verwandlung] christian-von-kamp.de Die Zwei »Sie machen mir nichts mehr vor«, fauchte der Dichter. »Sie machen mir nichts mehr nach«, zischte der Erfinder. Mit roten Köpfen gingen sie auseinander. [aus: Klabund, Kunterbuntergang des Abendlandes] christian-von-kamp.de Ein kubistischer Maler namens Täubchen beschloß, nachdem er viele Bilder kubischer Art gemalt, nunmehr als rechter Aktivist auch »so«: nämlich kubisch zu leben. Er ließ sich statt eines Kopfes einen Würfel auf den Hals schrauben, mit der Nummer 6 nach oben, damit jeder sähe, was er für eine Nummer wäre. Er ging deshalb auch Sommer und Winter ohne Hut, nur mit einem achteckigen Brett, welches als Regenschirm und Spazierstock diente, in der Hand. [aus: Klabund, Kunterbuntergang des Abendlandes] christian-von-kamp.de Eine Nebenfrage Fr. Sage mir, mein Sohn, wohin kommt der, welcher liebt? In den Himmel oder in die Hölle? Antw. In den Himmel. Fr. Und der, welcher haßt? Antw. In die Hölle. Fr. Aber derjenige, welcher weder liebt noch haßt: wohin kommt der? Antw. Welcher weder liebt noch haßt? Fr. Ja! – Hast du die schöne Fabel vergessen? Antw. Nein, mein Vater. Fr. Nun? Wohin kommt er? Antw. Der kommt in die siebente, tiefste und unterste Hölle. [aus: Heinrich von Kleist: Katechismus der Deutschen] christian-von-kamp.de Ich bin nicht gelehrt – ich habe nie die Absicht gehabt gelehrt zu werden – ich möchte nicht gelehrt sein, und wenn ich es im Traume werden könnte. Alles, wornach ich ein wenig gestrebt habe, ist, im Fall der Not ein gelehrtes Buch brauchen zu können. Eben so möchte ich um wie vieles nicht reich sein, wenn ich allen meinen Reichtum in barem Gelde besitzen und alle meine Ausgaben und Einnahmen in klingender Münze vorzählen und nachzählen müßte. Bare Kasse ist gut – aber ich mag sie nicht mit mir unter einem Dache haben. Ich will sie Wechslern anvertrauen, und nur die Freiheit behalten, an diese meine Gläubiger und meine Schuldner zu verweisen. [aus: Gotthold Ephraim Lessing: Selbstbetrachtungen und Einfälle] christian-von-kamp.de Der aus Büchern erworbne Reichtum fremder Erfahrung heißt Gelehrsamkeit. Eigne Erfahrung ist Weisheit. Das kleinste Kapitel von dieser, ist mehr wert, als Millionen von jener. [aus: Gotthold Ephraim Lessing: Selbstbetrachtungen und Einfälle] christian-von-kamp.de Vielleicht ist ein Gedanke der Grund aller Bewegung in der Welt, und die Philosophen, welche gelehrt haben, daß die Welt ein Tier sei, sind vielleicht durch diesen Weg darauf gekommen, sie haben sich vielleicht nur nicht so eigentlich ausgedruckt wie sie vielleicht hätten tun sollen; unsere ganze Welt ist nichts als die Würkung eines Gedankens von Gott auf die Materie. [aus: Georg Christoph Lichtenberg: Aus den »Sudelbüchern«] christian-von-kamp.de Es donnert, heult, brüllt, zischt, pfeift, braust, saust, summet, brummet, rumpelt, quäkt, ächzt, singt, rappelt, prasselt, knallt, rasselt, knistert, klappert, knurret, poltert, winselt, wimmert, rauscht, murmelt, kracht, gluckset, röcheln, klingelt, bläset, schnarcht, klatscht, lispeln, keuchen, es kocht, schreien, weinen, schluchzen, krächzen, stottern, lallen, girren, hauchen, klirren, blöken, wiehern, schnarren, scharren, sprudeln. Diese Wörter und noch andere, welche Töne ausdrücken, sind nicht bloße Zeichen, sondern eine Art von Bilderschrift für das Ohr. [aus: Georg Christoph Lichtenberg: Aus den »Sudelbüchern«] christian-von-kamp.de Es gibt eine gewisse Art von Büchern, und wir haben in Deutschland eine große Menge, die nicht vom Lesen abschrecken, nicht plötzlich einschläfern, oder mürrisch machen, aber in Zeit von einer Stunde den Geist in eine gewisse Mattigkeit versetzen, die zu allen Zeiten einige Ähnlichkeit mit derjenigen hat, die man einige Stunden vor einem Gewitter verspürt. Legt man das Buch weg, so fühlt man sich zu nichts aufgelegt, fängt man an zu schreiben, so schreibt man eben so, selbst gute Schriften scheinen diese laue Geschmacklosigkeit anzunehmen, wenn man sie zu lesen anfängt. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß gegen diesen traurigen Zustand nichts geschwinder hilft als eine Tasse Kaffee mit einer Pfeife Varinas. [aus: Georg Christoph Lichtenberg: Aus den »Sudelbüchern«] christian-von-kamp.de Heutzutage haben wir schon Bücher von Büchern und Beschreibungen von Beschreibungen. Himmel laß mich nur kein Buch von Büchern schreiben. [aus: Georg Christoph Lichtenberg: Aus den »Sudelbüchern«] christian-von-kamp.de Die Mittagssonne stand über der kahlen, von Felshäuptern umragten Höhe des Julierpasses im Lande Bünden. Die Steinwände brannten und schimmerten unter den stechenden senkrechten Strahlen. Zuweilen, wenn eine geballte Wetterwolke emporquoll und vorüberzog, schienen die Bergmauern näher heranzutreten und, die Landschaft verengend, schroff und unheimlich zusammenzurücken. Die wenigen zwischen den Felszacken herniederhangenden Schneeflecke und Gletscherzungen leuchteten bald grell auf, bald wichen sie zurück in grünliches Dunkel. Es drückte eine schwüle Stille, nur das niedrige Geflatter der Steinlerche regte sich zwischen den nackten Blöcken und von Zeit zu Zeit durchdrang der scharfe Pfiff eines Murmeltieres die Einöde. [aus: Conrad Ferdinand Meyer: Jürg Jenatsch] christian-von-kamp.de Von dem Kostüm der beiden Passagiere sei überdies so viel bemerkt. Mit Schonung für die neuen, im Koffer eingepackten Staatsgewänder war der Anzug des Gemahls bescheidentlich von Frau Constanzen ausgewählt; zu der gestickten Weste von etwas verschossenem Blau sein gewohnter brauner Überrock mit einer Reihe großer und dergestalt fassonierter Knöpfe, daß eine Lage rötliches Rauschgold durch ihr sternartiges Gewebe schimmerte, schwarzseidene Beinkleider, Strümpfe, und auf den Schuhen vergoldete Schnallen. Seit einer halben Stunde hat er wegen der für diesen Monat außerordentlichen Hitze sich des Rocks entledigt und sitzt vergnüglich plaudernd, barhaupt, in Hemdärmeln da. Madame Mozart trägt ein bequemes Reisehabit, hellgrün und weiß gestreift; halb aufgebunden fällt der Überfluß ihrer schönen, lichtbraunen Locken auf Schulter und Nacken herunter; sie waren zeit ihres Lebens noch niemals von Puder entstellt, während der starke, in einen Zopf gefaßte Haarwuchs ihres Gemahls für heute nur nachlässiger als gewöhnlich damit versehen ist. [aus: Eduard Mörike: Mozart auf der Reise nach Prag] christian-von-kamp.de April. Viel herumgelaufen; bin schrecklich müde; sehne mich nach meinem Dorf zurück; dort, welcher reiche Verkehr mit der Natur. Hier, welche Eintönigkeit, welche graue mit Steinmauern verschlossene Welt. Dort ein riesiger Himmel, der jeden Tag anders gezeichnet, Baum, Wald, Misthaufen für unsere Nasen, Muh, Muh! und Kikerikih! – Hier verbarrikadierte Welt und dazwischen Welt und dazwischen herumhüpfendes Menschengeschlecht mit Gesticulation und Mundknarren. – Ich weiß noch immer nicht, wie die Leute sich verständigen. Zwar nähern sie sich oft gegenseitig die Köpfe und entblößen die obere Zahnreihe, aber die Nasen scheinen mir zu kurz, um nach unserer Weise sich sofort zu orientieren. Dagegen entstürzen ihren Mündern ein ganzes Geknarr von Geräuschen, förmliche Mundsalven, denen fleißige Gesticulationen hinterdrein folgen. Aber zu einem Verständniß scheinen sie nicht zu gelangen, da das Gequatsch stundenlang dauert, heftiger wird, von Stampfen, Rücken, Stoßen und Zunge-Herausstrecken begleitet wird, bis Beide gehetzt mit dampfenden Mündern von einander scheiden. Armes Geschlecht, das du die Luft zerhackst und dein Gesicht verschneidest, um auszudrücken, was du willst. [aus: Oskar Panizza: Aus dem Tagebuch eines Hundes] christian-von-kamp.de Es ist eigentlich eine böse Zeit! Das Lachen ist teuer geworden in der Welt, Stirnrunzeln und Seufzen gar wohlfeil. Auf der Ferne liegen blutig dunkel die Donnerwolken des Krieges, und über die Nähe haben Krankheit, Hunger und Not ihren unheimlichen Schleier gelegt; – es ist eine böse Zeit! Dazu ist's Herbst, trauriger melancholischer Herbst, und ein feiner, kalter Vorwinterregen rieselt schon wochenlang herab auf die große Stadt; – es ist eine böse Zeit! Die Menschen haben lange Gesichter und schwere Herzen, und wenn sich zwei Bekannte begegnen, zucken sie die Achsel und eilen fast ohne Gruß aneinander vorüber; – es ist eine böse Zeit! [aus: Wilhelm Raabe: Die Chronik der Sperlingsgasse] christian-von-kamp.de Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag. Reiten, reiten, reiten. Und der Mut ist so müde geworden und die Sehnsucht so groß. Es gibt keine Berge mehr, kaum einen Baum. Nichts wagt aufzustehen. Fremde Hütten hocken durstig an versumpften Brunnen. Nirgends ein Turm. Und immer das gleiche Bild. Man hat zwei Augen zuviel. Nur in der Nacht manchmal glaubt man den Weg zu kennen. Vielleicht kehren wir nächtens immer wieder das Stück zurück, das wir in der fremden Sonne mühsam gewonnen haben? Es kann sein. Die Sonne ist schwer, wie bei uns tief im Sommer. Aber wir haben im Sommer Abschied genommen. Die Kleider der Frauen leuchteten lang aus dem Grün. Und nun reiten wir lang. Es muß also Herbst sein. Wenigstens dort, wo traurige Frauen von uns wissen. [aus: Rainer Maria Rilke: Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke] christian-von-kamp.de In unseren Stuben riecht es am Donnerstag nach Tomaten, am Sonntag nach Gänsebraten, und jeden Montag ist Wäsche. So sind die Tage: der rote, der fette, der seifige. Außerdem giebt es noch die Tage hinter der Glastür; oder eigentlich einen einzigen Tag aus Kühle, Seide und Sandelholz. Das Licht darin ist gesiebt, fein, silbern, still; Ruß, Sturm, Lärm und Fliegen kommen nicht mit herein wie in alle anderen Stuben. Und doch ist nur die Glastür dazwischen; aber sie ist wie zwanzig eherne Tore, oder wie eine Brücke, die nicht enden will, oder wie ein Fluß mit einer unsicheren Fähre von Ufer zu Ufer. [aus: Rainer Maria Rilke: Generationen] christian-von-kamp.de Was für eine Freude ist es doch, einem lahmen Menschen zu erzählen. Die gesunden Leute sind so ungewiß; sie sehen die Dinge bald von der, bald von jener Seite an, und wenn man mit ihnen eine Stunde lang so gegangen ist, daß sie zur Rechten waren, kann es geschehen, daß sie plötzlich von links antworten, nur, weil es ihnen einfällt, daß das höflicher sei und von feinerer Bildung zeuge. Beim Lahmen hat man das nicht zu befürchten. Seine Unbeweglichkeit macht ihn den Dingen ähnlich, mit denen er auch wirklich viele herzliche Beziehungen pflegt, macht ihn, sozusagen, zu einem den anderen sehr überlegenen Ding, zu einem Ding, das nicht nur lauscht mit seiner Schweigsamkeit, sondern auch mit seinen seltenen leisen Worten und mit seinen sanften, ehrfürchtigen Gefühlen. [aus: Rainer Maria Rilke: Geschichten vom lieben Gott] christian-von-kamp.de Es war ein schönes und fruchtbares Land mit Wäldern, Feldern, Flüssen, Straßen und Städten. Ein König war darüber gesetzt von Gott, ein Greis, älter und stolzer als alle Könige, von denen man je Glaubwürdiges gehört hat. Dieses Königs einziges Kind war ein Mädchen von großer Jugend, Sehnsucht und Schönheit. Der König war verwandt mit allen Thronen der Nachbarschaft, seine Tochter aber war noch ein Kind und allein, wie ohne alle Verwandtschaft. Gewiß war ihre Sanftmut und Milde und die Macht ihres unerwachten stillen Angesichtes die unschuldige Ursache jenes Drachens, welcher, je mehr sie emporwuchs und aufblühte, desto näher heranschlich und sich endlich im Walde vor der schönsten Stadt des Landes, wie der Schrecken selber, niederließ; denn es bestehen geheime Beziehungen zwischen dem Schönen und dem Schrecklichen, an einer bestimmten Stelle ergänzen sich beide wie das lachende Leben und der nahe tägliche Tod. [aus: Rainer Maria Rilke: Der Drachentöter] christian-von-kamp.de Es war an einem der ersten schönen Frühlingsmorgen. Allenthalben, auf Feldern, auf Wiesen und im Wald, waren noch Spuren des vergangnen Winters sichtbar, und der Härte, womit er lange gewütet; noch einmal hatte er mächtig im Sturm seine Schwingen geschüttelt, aber es war zum letztenmal. Die Wolken waren vertrieben vom Sturm, die Sonne durchgebrochen, und eine laue milde Wärme durchströmte die Luft. Junge Grasspitzen drängten sich hervor, Veilchen und süße Schlüsselblumen erhoben furchtsam ihre Köpfchen, die Erde war der Fesseln entledigt, und feierte ihren Vermählungstag. [aus: Dorothea Schlegel: Florentin] christian-von-kamp.de Vor meinem väterlichen Geburtshause, dicht neben der Eingangstür in dasselbe, liegt ein großer achteckiger Stein von der Gestalt eines sehr in die Länge gezogenen Würfels. Seine Seitenflächen sind roh ausgehauen, seine obere Fläche aber ist von dem vielen Sitzen so fein und glatt geworden, als wäre sie mit der kunstreichsten Glasur überzogen. Der Stein ist sehr alt, und niemand erinnert sich, von einer Zeit gehört zu haben, wann er gelegt worden sei. Die urältesten Greise unsers Hauses waren auf dem Steine gesessen, so wie jene, welche in zarter Jugend hinweggestorben waren und nebst all den andern in dem Kirchhofe schlummern. Das Alter beweist auch der Umstand, daß die Sandsteinplatten, welche dem Steine zur Unterlage dienen, schon ganz ausgetreten und dort, wo sie unter die Dachtraufe hinaus ragen, mit tiefen Löchern von den herabfallenden Tropfen versehen sind. [aus: Adalbert Stifter: Bunte Steine] christian-von-kamp.de Aber Sturm und Meer waren nicht barmherzig, ihr Toben zerwehte seine Worte; nur seinen Mantel hatte der Sturm erfaßt, es hätte ihn bald vom Pferd herabgerissen; und das Fuhrwerk flog ohne Aufenthalt der stürzenden Flut entgegen. Da sah er, daß das Weib wie gegen ihn hinauf die Arme streckte: Hatte sie ihn erkannt? Hatte die Sehnsucht, die Todesangst um ihn sie aus dem sicheren Haus getrieben? Und jetzt – rief sie ein letztes Wort ihm zu? – Die Fragen fuhren durch sein Hirn; sie blieben ohne Antwort: von ihr zu ihm, von ihm zu ihr waren die Worte all verloren: nur ein Brausen wie vom Weltenuntergang füllte ihre Ohren und ließ keinen andern Laut hinein. »Mein Kind! O Elke, o getreue Elke!« schrie Hauke in den Sturm hinaus. Da sank aufs neu ein großes Stück des Deiches vor ihm in die Tiefe, und donnernd stürzte das Meer sich hinterdrein; noch einmal sah er drunten den Kopf des Pferdes, die Räder des Gefährtes aus dem wüsten Greuel emportauchen und dann quirlend darin untergehen. Die starren Augen des Reiters, der so einsam auf dem Deiche hielt, sahen weiter nichts. »Das Ende!« sprach er leise vor sich hin; dann ritt er an den Abgrund, wo unter ihm die Wasser, unheimlich rauschend, sein Heimatsdorf zu überfluten begannen; noch immer sah er das Licht von seinem Hause schimmern; es war ihm wie entseelt. [aus: Theodor Storm: Der Schimmelreiter] christian-von-kamp.de Indem erhob er sein Auge, und war fast geblendet oder erschrocken vor einem Gemälde, welches in der obern Region des hohen Saales ohne den Schmuck eines Rahmens hing. Ein blonder Mädchenkopf mit zierlich verwirrten Locken und mutwilligem Lächeln guckte herab, im leichten Nachtkleide, die eine Schulter etwas entblößt, die voll und glänzend schien; in langen zierlichen Fingern hielt sie eine eben aufgeblühte Rose, die sie den glühend roten Lippen näherte. »Nun wahrlich!« rief Eduard laut, »wenn dies Bild von Rubens ist, wie es sein muß, so hat der herrliche Mann in dergleichen Gegenständen alle andern Meister übertroffen! Das lebt, das atmet! Wie die frische Rose den noch frischeren Lippen entgegenblüht! Wie sanft und zart die Röte beider ineinanderleuchtet und doch so sicher getrennt ist. Und dieser Glanz der vollen Schulter, darüber die Flachshaare in Unordnung gestreut! Wie kann der alte Walther sein bestes Stück so hoch hinaufhängen und ohne Rahmen lassen, da all das andre Zeug in den kostbarsten Zierden glänzt?« [aus: Ludwig Tieck: Die Gemälde] christian-von-kamp.de Manchmal muß ich wieder jener stillen Tage gedenken, die mir sind wie ein wundersames, glücklich verbrachtes Leben, das ich fraglos genießen konnte, gleich einem Geschenk aus gütigen, unbekannten Händen. Und jene kleine Stadt im Talesgrund ersteht da wieder in meiner Erinnerung mit ihrer breiten Hauptstraße, durch die sich eine lange Allee prachtvoller Lindenbäume hinzieht, mit ihren winkeligen Seitengassen, die erfüllt sind von heimlich schaffendem Leben kleiner Kaufleute und Handwerker und mit dem alten Stadtbrunnen mitten auf dem Platze, der im Sonnenschein so verträumt plätschert, und wo am Abend zum Rauschen des Wassers Liebesgeflüster klingt. Die Stadt aber scheint von vergangenem Leben zu träumen. Und sanft geschwungene Hügel, über die sich feierliche, schweigsame Tannenwälder ausdehnen, schließen das Tal von der Außenwelt ab. Die Kuppen schmiegen sich weich an den fernen, lichten Himmel, und in dieser Berührung von Himmel und Erde scheint einem der Weltraum ein Teil der Heimat zu sein. Menschengestalten kommen mir auf einmal in den Sinn, und vor mir lebt wieder das Leben ihrer Vergangenheit auf, mit all' seinen kleinen Leiden und Freuden, die diese Menschen ohne Scheu einander anvertrauen durften. [aus: Georg Trakl: Traumland. Eine Episode] christian-von-kamp.de Die Sonne neigte sich bereits zum Untergang, als Agathon, der sich in einem unwegsamen Walde verirret hatte, von der vergeblichen Bemühung einen Ausgang zu finden abgemattet, an dem Fuß eines Berges anlangte, welchen er noch zu ersteigen wünschte, in Hoffnung von dem Gipfel desselben irgend einen bewohnten Ort zu entdecken, wo er die Nacht zubringen könnte. Er schleppte sich also mit Mühe durch einen Fußweg hinauf, den er zwischen den Gesträuchen gewahr ward; allein da er ungefähr die Mitte des Berges erreicht hatte, fühlt er sich so entkräftet, daß er den Mut verlor den Gipfel erreichen zu können, der sich immer weiter von ihm zu entfernen schien, je mehr er ihm näher kam. Er warf sich also ganz Atemlos unter einen Baum hin, der eine kleine Terrasse umschaltete, auf welcher er die einbrechende Nacht zuzubringen beschloß. [aus: Christoph Martin Wieland: Geschichte des Agathon] christian-von-kamp.de . .
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