Abtreibung im Roman

Abtreibung, Lebensrecht, Menschenwürde:

Wie passen solche Themen mit Romanen, mit Literatur über Spätzeiten, Letztzeiten, über den Niedergang und Untergang von Kulturen zusammen? Was hat Abtreibung mit der Entwicklung der Zivilisation zu tun?

Ich wage die Behauptung, dass zwischen Abtreibung und Kultur-Niedergang ein enger Zusammenhang besteht. Wenn für eine Kultur die Zeit zum "Sterben" gekommen ist, so begeht sie häufig Selbstmord: Es kommen keine Kinder mehr nach, die Völker überaltern, die Sozialsysteme brechen zusammen. Gründe hierfür sind zunehmender Egoismus, abnehmende Liebe zu Kindern, und hiermit zusammenhängend auch Abtreibung. So gesehen sind Verhütung und Abtreibung Wege des Selbstmords einer Kultur. Natürlich finden sich immer Gründe für die Abtreibung, die ganz anders geartet erscheinen: Es wird abgetrieben aus Geldmangel, wegen Problemen mit dem Partner, um die Ausbildung abschließen zu können oder den Beruf nicht aufgeben zu müssen. Abtreibung also als Problemlösung. Aber steckt nicht, wenn man tiefer geht und die Sache globaler betrachtet, eigentlich etwas anderes dahinter? Ist es nicht so, dass Abtreibung in den meisten Fällen gar nicht in Frage käme, wenn wir wirklich uns nach Kindern und Familie sehnten? Aber an die Stelle dieser Sehnsucht, dieses Verlangen nach enger Gemeinschaft ist anderes getreten: Bindungsangst, Zukunftsangst, Angst vor der Verantwortung, Singletum - obwohl doch im Grunde niemand gerne einsam ist.

Abtreibung und sonstige schwere Verletzungen der Menschenwürde letztlich also, weil wir das Leben selbst nicht mehr lieben, mit allen seinen Höhen und Tiefen, seiner Freude und seinem Leid.

Abtreibung, weil uns eine Sehnsucht nach dem Untergang treibt, ob uns dies bewusst ist oder nicht. Abtreibung, weil wir, die Menschen, die Gemeinschaft, sterben wollen. Leben bzw. Lebenwollen und Abtreibung sind ein unversöhnlicher Gegensatz.

Abtreibung, weil unserer Gesellschaft ein Ziel fehlt, eine Perspektive, das große Wohin. Wir haben keine wirklichen Visionen mehr, folgen keinem Ruf. Abtreibung ist, so gesehen, nicht Ausdruck der Freiheit, sondern eines massiven Mangels.

Mehr zum Thema Abtreibung und Kulturuntergang in meinen Spätzeit-Romanen Paradision und Letztschriften.

Marianne Neeb: Lysander

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