"Liebe - und dann tue, was du willst." Augustinus

"... hätte aber die Liebe nicht, so wäre ich nichts."
Paulus

Das Erlebnis der Liebe in Nahtoderfahrungen - und was wir daraus lernen können

In den Berichten von Menschen, die Nahtoderfahrungen hatten, ist immer wieder von der Liebe die Rede:
  • von der Liebe, die sie in einem hellen, tiefe Geborgenheit schenkenden Licht erfuhren
  • von der Liebe, die ihnen verstorbene Verwandte und Freunde entgegenbrachten
  • von der Liebe, die von Lichtwesen ausging und sich zudem in ihrem beispielhaften Verhalten zeigte
  • von der Liebe, die in einem bewertenden Lebensrückblick als Maßstab an ihr eigenes Leben gelegt wurde und die sie durch nachträgliche Beurteilung ihrer früheren Handlungen als die wichtigste Aufgabe, als Ziel und Erfüllung ihres eigenen sowie des menschlichen Lebens insgesamt kennenlernten.
Im Rahmen dieses kurzen Textes soll versucht werden, stichwortartig einige wesentliche "Merkmale" dieser in Nahtoderfahrungen erlebten Liebe zu skizzieren. Grundlage und Ausgangspunkt dieser Skizze ist eine Ausarbeitung von Dr. Joachim Nicolay ("Was hast Du aus Deinem Leben gemacht? - Ethische Impulse im Lebensrückblick" in "Nahtod und Transzendenz", Santiago Verlag, Goch 2008).

Noch ein kurzer Hinweis vorab: Liebe ist nicht wie eine chemische Substanz, die sich in wäg- und messbare Bestandteile zerlegen ließe. Sie ist keine zusammensetzbare und analysierbare Materie, auf die naturwissenschaftliche Gesetze anwendbar wären. Wenn also von "Merkmalen" der Liebe die Rede ist, handelt es sich dabei um Äußerungen und Erscheinungen der Liebe; sie selbst ist nicht in Worte zu fassen, ebenso wie auch das menschliche "Herz" (nicht der blutpumpende Muskel) allenfalls umschrieben werden kann.

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Bei der Lektüre von Nahtodberichten wird mancher erstaunt entdecken, wie sehr die dort beschriebene Liebe mit dem Begriff der Freiheit verknüpft ist; einer Freiheit, wie sie im gewöhnlichen Leben nur selten in diesem Ausmaß mit Liebe assoziiert wird.

Liebe kann sich nur in Freiheit entfalten. Zwang und Liebe vertragen einander nicht; daher kann auch niemand zur Liebe gezwungen werden. Jeder Mensch wünscht sich Liebe, will geliebt werden, doch keiner würde wollen, dass man ihn aus Pflichterfüllung "liebt". Vielmehr erhofft jeder eine Liebe, die ihm frei, freiwillig, aus freien Stücken geschenkt wird; spontan, und nicht geplant oder gewollt.

So erleben auch die Zeugen von Nahtoderfahrungen eine Liebe, die zwar als Anspruch an sie herangetragen wird, als Maßstab eines gelingenden Lebens, aber nicht in Form eines Gesetzes oder Gebotes, eines Müssens und Sollens, sondern als Angebot und Einladung, sich frei für oder gegen sie zu entscheiden, sie anzunehmen oder abzulehnen.

Sicher, der Mensch erfährt, dass er an der Liebe gemessen wird, oder vielmehr: sich selbst daran misst. Dennoch wird ihm kein moralischer Zeigefinger vorgehalten, sein Verhalten nicht nach festgeprägten Regeln sortiert, kategorisiert, bewertet, beurteilt; nach Regeln, die gleichsam außerhalb seiner selbst prangen. Der Mensch mag gegen Gesetze verstoßen haben; aber gegen solche, die nicht "von oben herab" erlassen wurden, sondern ihm, wie er spürt, eingeschrieben sind, und die ihn nicht zu einem bestimmten Verhalten nötigen, sondern einfach nur ihn zu gewinnen suchen.

Eine Folge des Erlebens der Freiheitlichkeit und Freiwilligkeit der Liebe ist die Erkenntnis, dass es nicht gut sein kann, Zwang auszuüben, andere zu etwas zu zwingen, wozu sie selbst nicht bereit sind. Doch ebensowenig kann es richtig sein, sich selbst zu zwingen, nicht einmal, wenn es um sogenannte "gute Taten" geht. Nicht, dass diese Taten an sich etwas Schlechtes wären, aber sie wollen freiwillig und nicht "mit zusammengebissenen Zähnen" vollbracht sein. In letzterem Fall wäre nicht die Liebe die treibende Kraft, sondern ein davon losgelöstes Wollen, Denken oder Pflichtgefühl.

Pflichterfüllung ist sicher erforderlich im Leben. Aber reine Pflichterfüllung ohne Liebe ist auch eine Form des Zwanges gegen sich selbst. Die Pflicht kann an die Stelle der Liebe treten, sie äußerlich im Leben ersetzen, so dass schließlich Gebote, die einst - wenn auch nur behelfsweise - Ausdruck der Liebe sein sollten, diese schließlich verdrängen.

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Die in Nahtoderfahrungen erlebte Liebe ist auch insofern frei, als sie nicht an Bedingungen gebunden ist. Besonders von den Lichtwesen strahlt eine bedingungslose Liebe aus, die in keiner Weise daran anknüpft, dass der Mensch gute Eigenschaften oder Taten sowie möglichst wenige Fehler vorweist. Die Nahtoderfahrenen fühlen sich unabhängig von ihrem Charakter, ihren Fehlern, ihrer Herkunft, ihren Leistungen oder dem, was sie sonst im Guten wie im Schlechten kennzeichnet, angenommen und geliebt. Die ihnen geschenkte Liebe ist nicht mit Erwartungen an sie verbunden. Das bedeutet nicht, dass jedes Verhalten und alle begangenen Taten liebenswert wären; aber die Menschen fühlen sich als Person in ihrem Wesen geliebt.

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Erstaunlich ist auch die Weite und Umfänglichkeit der in Nahtoderfahrungen erlebten Liebe, einer Liebe, die sich auf das Leben als Ganzes bezieht. Das betrifft nicht nur die Tatsache, dass außer Handlungen und Worten auch Gedanken Ausdruck der Liebe sein können und sie "in die Welt tragen". Die Weitgespanntheit betrifft auch den Bezug der Liebe nicht nur auf konkrete andere Personen, sondern auch auf den Erlebenden selbst, auf die Menschheit und schließlich auf das Universum. Die Selbstliebe ist dabei genau so wichtig wie die Liebe zum "Nächsten", zu den anderen. Selbstverleugnung und reiner Altruismus sind daher ebensowenig richtig wie Egoismus. Die Liebe will bereichern, das eigene Leben wie das der anderen. Dabei ist sie umfassend und schließt alle Aspekte und Formen des menschlichen Zusammenlebens ein, alle Strukturen, Beziehungen, Kontakte.

Schließlich betrifft die Weite der Liebe auch ihre Wirkung. Freundlichkeit und Wohlwollen breiten sich wie Wellenbewegungen aus, sowohl räumlich wie auch zeitlich. Sie beeinflussen andere und ihr Verhalten; sie werden von Eltern auf Kinder und Enkel weitergegeben. Liebendes Verhalten kann sich über Erziehungsmuster weitervererben; liebloses allerdings ebenso. Das eigene Tun, und scheint es noch so unbedeutend, zeitigt ungeahnt weiträumige Folgen.

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Die weitreichende Wirkung weist auf einen anderen Aspekt der Liebe hin: das Streben nach Verbundenheit. Menschen begegnen sich, stehen in Beziehung zueinander, tauschen sich aus, geben anderen, benötigen die Hilfe anderer. Wir leben in einer engeren (und zugleich größeren) Verbundenheit und Gemeinschaft, als uns im gewöhnlichen Leben bewusst wird. Stärkung der Verbundenheit, indem wir anderer Freude teilen und anderer Schmerzen mitleiden, bedeutet Stärkung der Liebe. Sie erwächst aus der Erkenntnis der Verknüpfung unser aller Leben.

Das Verbundensein bedingt auch die Goldene Regel des Verhaltens anderen gegenüber: sie so zu behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte. Der andere ist ein Wesen wie ich selbst, leidet in gleicher Weise unter Verletzungen, strebt wie ich nach Glück und Erfüllung. Die Liebe versucht, sich in ihn einzufühlen und hineinzuversetzen, um ihn so zu behandeln, wie auch ich es von anderen erhoffe.

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Der Anspruch der Liebe an den Menschen ist, so zeigen Nahtoderfahrungen, keine von außen an ihn herangetragene Forderung. Vielmehr ist Liebe Ausdruck seines eigentlichen Wesens, seines wahren Selbst. Indem er seinen Wesenszug der Liebe und Wärme ent-wickelt, ihn in sich freilegt, findet er sich wieder. Liebe ist des Menschen eigene Natur. Verletzt er andere, so handelt er seinem eigenen Wesen zuwider, fügt sich selbst Schaden zu.

Liebe als Ausdruck des eigenen Inneren, des "Herzens", äußert sich daher authentisch, nicht unter Zwang und nicht als lediglich willentliche, reflektierte Handlung.

Ziel der "Menschwerdung" ist die Ent-Wicklung und Befreiung des wahren Selbst. Wer solcherart ein liebe-voller Mensch geworden ist, tut anderen gut, ohne sich selbst zu guten Taten nötigen zu müssen.

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Unsere Lebensaufgabe besteht im persönlichen Wachstum in der Liebe. Wie aus dem Zusammenhang deutlich wird, kann es sich hierbei nicht um ein Wachstum ohne oder gar gegen die anderen handeln, sondern im Gegenteil: ein Wachstum an und mit ihnen. Um zu wachsen, müssen wir lernen; nur so können wir unsere Liebesfähigkeit mehr und mehr ent-wickeln. Auch Fehler sind Teil des Lernprozesses; sie ermöglichen die Korrektur der Verhaltens- und Denkweisen. Das "Recht", Fehler begehen zu dürfen, folgt aus dem unbedingten Freiheitsanspruch der Liebe.

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Noch weitere "Merkmale" der Liebe kristallisieren sich in Nahtoderfahrungen heraus, die hier nur kurz erwähnt werden sollen:
  • positive Beachtung des anderen
  • Annahme, sich selbst wie andere akzeptieren
  • Achtung und Respekt
  • Verständnis, für eigene wie anderer Befindlichkeiten
  • Offenheit
  • Güte
  • Nachsicht
  • Bereitschaft, sich selbst und anderen zu vergeben
  • Verantwortung
  • Liebe nicht als Heldentaten, sondern vor allem im Kleinen, unter Alltagsbedingungen
  • nicht auf Perfektion kommt es an, sondern auf das redliche Bemühen
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Wenn man all diese Aspekte der in Nahtoderfahrungen erlebten Liebe betrachtet, stellt man erstaunt fest, dass sie nicht jeweils gesondert "im Raum stehen", sondern dass ihnen allen Gemeinsames zugrunde liegt. Zum einen lässt sich etwas erkennen, das vielleicht mit Begriffen wie Ausdehnung, Wachstum, Entgrenzung und Überschreiten, Befreiung, Öffnung oder Entwicklung ungefähr beschrieben werden könnte, also eine dynamische Bewegung des Größerwerdens und Weiter-, ja des Überschreitens. Das leuchtet sofort ein bei Aspekten wie Freiheit, Bedingungslosigkeit, Lernen oder Offenheit; bei genauem Hinsehen lassen sich aber auch die anderen genannten Gesichtspunkte hier einbeziehen. Zum anderen kommen einem Begriffe wie Zusammenhang, allumfassend, Ganzheit, Einheit in den Sinn. Alles wirkt miteinander verknüpft, verwoben. Das Außen und das Innen scheinen verbunden zu sein, alles strebt einem gemeinsamen Ziel zu. Auch hier kann man bei einigem Nachsinnen erkennen, dass diese Einheit sich nicht auf einzelne Merkmale wie etwa die Verbundenheit oder die weite Wirkung der Liebe beschränkt. Und schließlich kann man feststellen, dass diese großen Gemeinsamkeiten, zum einen die Ausdehnung, zum anderen die Einheit, nicht etwa Gegensätze darstellen, sondern es sich letztlich um ein und dasselbe unter verschiedenen Blickwinkeln handelt, um die beiden Seiten einer Münze. Dies sind nur kurz einige Gedanken, die mir in diesem Zusammenhang kamen.
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Juli 2009
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Christian von Kamp

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Diesen Text finden Sie auch in folgendem eBooklet:

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Was versteht man unter Nahtoderfahrungen bzw. Todesnähe-Erlebnissen?

Elemente und Komponenten von Nahtoderfahrungen

Sind Nahtoderfahrungen nichts weiter als Halluzinationen oder Träume?

Meine neue Website über Nachtodkontakte

Home: kostenlose eBooks, darunter auch der von Nahtoderfahrungen inspirierte Roman "Tod und Rückkehr"

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